Freitag, 16. Juli 2010

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DESIGN

Mode auf Abwegen

In der Kreuzberger Solmsstraße wächst eine junge Mode-Szene mit Geschäften heran

Annika Zieske

Die Bergmannstraße gilt für Berlinbesucher als der Inbegriff des Kreuzberger Lebensgefühls. Vor allem am Wochenende ist die Straße überlaufen, Touristen schieben sich an den Tischen der Cafés vorbei und drängen in die Geschäfte. Auf der Flucht vor den Massen hilft nur Ausweichen in eine der ruhigeren Seitenstraßen. Dort sind kleinere Läden entstanden, ein Phänomen, das man eher in Mitte oder Nord-Neukölln erwartet hätte. Nun also in der Solmsstraße. Die jungen Mode- und Accessoirelabels setzen auf den Berliner Trend, Kunst und Mode zu kombinieren, oder propagieren faire Herstellungsweisen und soziales Gewissen.

Seit Anfang des Jahres logiert in Hausnummer 19 Kokoro, der Laden von Nadine Engel. Ein paar Stufen führen hinauf in den kleinen, puristisch eingerichteten Raum mit der großen Fensterfront. Ungefähr 25 Labels hat sich die Inhaberin zusammengesucht, unter anderem Workaholic aus Berlin, aber auch "Ludvik und Trinkhallenschickeria" - ein Label aus Köln. Eine feine Mischung junger Mode, teils lässig, teils raffiniert und immer in Kleinstserien produziert. Auswahlkriterium ist Engels eigener Geschmack, denn wie das Motto auf ihrer Website erklärt: "Mode hat mit Ideen zu tun und mit unserem Leben." Hinter diesem Laden steht auch die Idee, Mode mit sozialem Engagement zu verbinden. Deswegen hat Nadine Engel die Zusammenarbeit mit Collection of Hope gesucht, deren Unikate seit Kurzem auf der Stange hängen. Bei dem Projekt der Esmod-Modeschule in Kooperation mit I-magine e.V., einem gemeinnützigen Verein für HIV-Prävention, geht jeweils die Hälfte des Reinerlöses in die Unterstützung von HIV-Infizierten. Zudem wird nur mit ökologisch abbaubaren Materialien gearbeitet.

Angeschlossen an den Kokoro-Laden ist das Atelier, in dem Nadine Engel, selbst an einer eigenen Kollektion arbeitet. Wie die aussehen wird, darüber will sie noch nichts sagen, denn einen Termin für die offizielle Präsentation gibt es noch nicht. Das Atelier teilt sich Engel mit der Designerin und Modestylistin Verena Conrad und der Schmuckdesignerin Verena Schreppel, deren Schmuckstücke auch im Laden verkauft werden.

Warum Engels gerade in den Bergmannkiez und nicht nach Mitte gezogen ist? "Eigentlich wollte ich nach Neukölln", erzählt sie, "dass ich hier gelandet bin, war Zufall. Aber ich bin sehr froh mit der Wahl, die Bergmannstraße ist ja sehr lebendig, und seit ich hier bin, haben in den Seitenstraßen ein paar andere Läden aufgemacht, die Gegend entwickelt sich gut."

Dass immer mehr Läden eröffnen, haben auch Carmen und Paula Accorsi beobachtet. Schräg gegenüber des Kokoro, in einem Kellerladen der Hausnummer 33, betreiben die beiden ihren kleinen Laden El Moco. Als sie vor zwei Jahren in die Solmsstraße kamen, waren sie die Einzigen hier. Die Schwestern hatten vorher schon Jahre in der Gegend gelebt und wollten dem Kiez treu bleiben, in der Hoffnung, dass die viel beschworene Anziehungskraft der Bergmannstraße auch auf die Umgebung abfärbt und Kunden in den Laden treibt. Dass sie mit ihrem gerade erst gegründeten Label im als teuer geltenden Bergmannkiez eröffnen konnten, war nicht selbstverständlich: "Wir hatten damals einfach ziemlich Glück, dass wir den Raum bekommen haben. Wir mussten alles selbst renovieren und herrichten, eigentlich war das ein einfacher Lagerraum", erzählt Carmen Accorsi. Die beiden suchten gezielt nach einem Raum mit direktem Straßenzugang, denn auch im El Moco sind Laden und Atelier kombiniert. "Es ist für uns einfach praktischer, und die Kunden können sehen, dass die Sachen wirklich hier gemacht werden, und nicht in China", meint Carmen. Sie selbst hat Kunst, ihre Schwester Fotografie studiert, das schult den Blick für Muster, Farben und Oberflächen. Beim gemeinsamen Label arbeiten sie hauptsächlich mit grafischen Mustern, die dann per Siebdruckverfahren auf Röcke, Taschen und Shirts gedruckt werden. Im Winter liegt der Schwerpunkt auf gemusterten Strickpullovern, einige handgemachte, futuristisch anmutende Schmuckstücke runden das Angebot ab.

Zwar hält sich El Moco jetzt schon seit zwei Jahren. Vom Laden allein können die Accorsis allerdings nicht leben, dafür verirrt sich doch zu wenig Publikum vom ausgetretenen Bergmannpfad in die Seitenstraßen. Um sich zu finanzieren, haben die Schwestern ihren eigenen Webshop bei der Internetplattform DaWanda, und sonntags stehen die beiden auch auf dem Flohmarkt am Mauerpark, um ihr Label bekannter zu machen.

Auf ebendiesem haben auch Jiab Prachakul und Daniele Galimberti angefangen. Die beiden haben sich auf Taschen spezialisiert. Jiab malt Ölbilder, die auf Stoffe gedruckt werden, Daniele ist fürs Nähen zuständig. "Mit den bedruckten Objekten kann ich meine Kunst viel direkter zu den Leuten bringen, als wenn ich meine Gemälde in einer Galerie ausstelle", erzählt Jiab Prachakul. Die Motive der aktuellen Kollektion "The time we were family" sind Tierköpfe, die auf den ersten Blick bereits interessant aussehen. Wenn man nachfragt, erfährt man, dass es sich um verfremdete Porträts handelt, denn Jiab hat sich selbst und elf ihrer engsten Freunde in Tiergestalt auf die Leinwand gebracht.

Mitte Juni wagten die beiden Wahlberliner, die vorher in London gelebt haben, den Schritt zum eigenen Laden in der Solmsstraße. Doch Mode ist flüchtig und Berlin schnellebig, und so steht der Laden nur knapp einen Monat nach der Eröffnungsparty schon wieder vor dem Aus. Nur bis Ende Juli wollen Prachakul und Galimberti noch in der Solmsstraße bleiben. An der Gegend liegt das aber nicht, meint Galimberti, auch wenn er zugibt, dass man auf dem Flohmarkt mehr Leute in kürzerer Zeit erreicht und mehr verdient. "Der Hauptgrund ist aber, dass der Laden uns einfach zu viel Freiheit und Zeit nimmt." Traurig klingt er nicht, während er das sagt, ganz im Gegenteil: "Die Chance, spontan einen Laden aufzumachen (und dann auch genau so schnell wieder zu), hat man einfach nur in Berlin, und genau das schätze ich an der Stadt, es war eine gute Erfahrung." Schade ist es um den Laden. Lange leer stehen wird der Raum aber nicht, es gibt bereits neue Interessenten, die hoffentlich dafür sorgen, dass es spannend bleibt in der Solmsstraße.

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Gute Adressen

El Moco Solmsstraße 33, Kreuzberg, Tel. 53 08 71 28, www.elmoco.de; Di-Sa 12-20 Uhr

Jiab Prachakul Bags, Wallets, Prints, Solmsstraße 35, Kreuzberg, http://de.dawanda.com/shop/Jiab-Prachakul; Di-Sa 15-20 Uhr

Kokoro Solmsstraße 19, Kreuzberg, Tel. 89 62 44 16, www.kokoro-fashion.de; Di-Sa 14-20 Uhr

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Foto: Nadine Engels Engagement umfasst neben Mode auch soziale Aspekte.

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